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Follow me: Positionierung im digitalen Musikbusiness

DigiMediaL macht Musiker fit für Selbsbstvermarktung im Internet

Freischaffende Musiker in Berlin verdienen im Schnitt weniger als ihre Kollegen in anderen Städten. Das soll so nicht weitergehen. Seit 2009 kofinanziert der Senat mit ESF-Mitteln einen Zertifikatskurs, der den Künstlern hilft, ihr Onlineprofil zu schärfen und ein solides Marketingkonzept zu erarbeiten. Ein Besuch bei DigiMediaL_musik. // Agnes Mönker

Dieser Artikel ist zuerst im europapolitischen Magazins der PUNKT (Ausgabe 129) erschienen.

Dienstagmorgen am Berlin Career College der Universität der Künste. Die Fenster zur Bundesallee stehen offen. Eine Etage tiefer übt jemand Cello, ein junger Mann steht auf einem Stuhl und steckt Kabel um. Der Beamer ist ausgefallen. Nach und nach kommen Musikerinnen und Musiker an. Jeder greift sich ein Tablet. Wie ist das Passwort für das WLAN? Geht’s bei dir? Nee, geht nicht. Doch, jetzt. Der Beamer macht nun auch, was er soll. Dann wird losgewischt und getippt. Alles digital. Kaum überraschend, schließlich sollen hier Musiker fit gemacht werden für die Selbstvermarktung im Internet. „DigiMediaL_musik – Strategisches Musikmarketing im Social Web“ heißt der Zertifikatskurs, der in diesem Sommer zum fünfzehnten Mal seit 2009 stattfindet.

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In Arbeitsgruppen lernen die Teilnehmenden gemeinsam ein Konzert zu planen und zu veranstalten. // Foto: Susanne Baron

Obwohl der Kurs sich zunächst vor allem an klassische Musiker richtete, kam der überwiegende Teil von Anfang an aus ganz verschiedenen Musikrichtungen, sehr zur Zufriedenheit des Kursleiters Matthias Krebs: „Das ist ein Qualifizierungsangebot mit ganz großer Spannbreite. Es bewerben sich Musiker aus den unterschiedlichsten Genres, von der Opernsängerin über Punkrocker bis hin zum DJ. Eines der Lernziele ist es, im Rahmen eines Praxisprojektes gemeinsam ein Konzert zu planen und zu veranstalten. Da geht’s dann sehr interdisziplinär zu. Die Musiker arbeiten manchmal auch über den Kurs hinaus weiter zusammen.“ Aber der Reihe nach: Was passiert hier eigentlich? Und warum müssen die Musiker heute etwas über Adjektive und Verben lernen?

Berliner verdienen weniger

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich Berlin seit Jahren immer mehr zur internationalen Künstlerstadt entwickelt hat. Musiker in Berlin verdienen im Schnitt deutlich weniger als ihre Kollegen in anderen Städten. 17.000 Euro Jahreseinkommen sind laut Matthias Krebs noch großzügig geschätzt, es mag eher Richtung 10.000 Euro gehen. Die große Anzahl an Musikern in der Stadt drückt nicht nur die Auftrittshonorare, sondern zwingt sogar viele Musiker, ganz ohne Bezahlung aufzutreten. Der erste Schritt, um von der eigenen Musik leben zu können, ist, sich über die Alleinstellungsmerkmale und Stärken klarzuwerden. Dabei hilft DigiMediaL_musik.

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Expertenforum mit Label-Manager Gordon Gieseking. // Foto: Susanne Baron

Im zweiten Schritt können die Künstler mit einem klaren Profil an Veranstalter herantreten und besser über ihr Honorar verhandeln. Aber dafür muss man sich festlegen. „Es ist nicht sinnvoll, sieben schöne Projekte gleichzeitig zu haben, aber dann nicht zu wissen, wo man anfangen soll. Wir sagen: Wähle eines aus. Und dafür machen wir dann ein Marketingkonzept.“, erklärt Matthias Krebs. Dieses Konzept stellen die Musiker in der Runde von Kollegen und Experten aus Marketing und Musikbusiness vor. Sie bekommen Rückmeldung, verfeinern, verbessern, stellen es immer wieder zur Diskussion, bis es stimmig und umsetzbar ist. Der Kurs läuft über vier Monate, Unterricht ist einmal wöchentlich. So ist er auch berufsbegleitend gut zu bewältigen.

Bitte keine Phrasen

Heute lernen die Musiker im Seminar alles über gutes Onlinetexten. „Bitte keine Phrasen“, sagt der Dozent und Online-Journalist Peter Schink und liefert gleich das erste Beispiel: Musik ist die Sprache, die überall auf der Welt verstanden wird. „Das will niemand lesen, das ist so abgedroschen. Und über die Musik sagt es uns auch überhaupt nichts.“ Unzählige Fallstricke lauern auf der eigenen Internetseite: unleserliche Schriftarten, schlechte Farbkombinationen, langweilige Lebensläufe. Die Anforderungen an die digitale Visitenkarte sind hoch. Peter Schink arbeitet mit den Homepages der Teilnehmer und zeigt auf der Seite von Aloo aus Italien die ideale Länge für einen Onlinetext. Amalia aus Frankreich stellt ein paar Rückfragen, dann nicken alle zufrieden. Bei DigiMediaL_musik geht es international zu. Die Teilnehmer in diesem Durchgang kommen aus sieben verschiedenen Ländern.

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Die Musiker erarbeiten im Kurs aussagekräftige Profile. // Foto: Susanne Baron

Schlagersängerin Kathrin hat genug vom Schlager und will endlich mit ihren eigenen Liedern Geld verdienen, ohne finanziell die Balance zu verlieren. Juri will sich nicht verzetteln. Er ist mit 20 der jüngste Kursteilnehmer, Jazzer, tritt mit seinem Orchester nächste Woche im Berghain auf und studiert drei Sachen gleichzeitig in Leipzig und Berlin. Er baut gerade eine Jazz-Klassik-Band auf, hat noch ein weiteres Ensemble. „Und ich könnte jetzt noch ganz viele andere Sachen aufzählen, aber die zwei reichen glaub ich erstmal.“ Fokus ist bei ihm die neue Devise, Projekte aussuchen und richtig pushen, mit den Mitteln, die er hier im Kurs an die Hand bekommt. Neben ihm sitzt Finn, um die 30, Singer-Songwriter, bärtig, langhaarig. Er will nicht mehr bei Wind und Wetter auf der Straße stehen, wo die Leute ohnehin nicht richtig zuhören. Mehr regelmäßige Konzerte, mehr Publikum und mehr Gage, das wäre schön. Jetzt zeigt er stolz seine Homepage auf dem Tablet. „Hab ich vor zwei Wochen neu gemacht.“ Sieht professionell aus. „Ich glaub, der soziale Aspekt ist hier sehr wichtig. Andere kennenzulernen und zu sehen, dass die ähnliche Probleme haben. Und das motiviert auch. Ich bin jetzt bei twitter und Facebook viel aktiver als vorher.“

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Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Abschlussveranstaltung des viermonatigen Zertifikatkurses DigiMediaL_musik. // Foto: Jenny Uhlenbrok

Aber Musiker brauchen mehr als nur gute Tipps für Onlinetexte. Auch strategisches Marketing, Social Media, Einblicke ins Musikbusiness und Kenntnis über Medien- und Musikrecht sind wichtig, um sich im Überangebot mit seinen musikalischen Ideen durchzusetzen. Dafür reichen nicht nur ein paar Workshops, wie sie vergleichbare Programme bieten. DigiMediaL_musik setzt auf langfristige Lehrkonzepte und Begleitung bei der Umsetzung. Deswegen haben die Teilnehmer nach Kursabschluss Anspruch auf mehrmonatiges Einzelcoaching. Zusätzlich wurde 2013 der Berliner Musiker Treff initiiert, um die Vernetzung und den Austausch unter den Musikern zu stärken. Er findet monatlich statt und ist offen für alle Berliner Musiker und Akteure aus dem Musikbusiness.

M³ MakeMeMatter

Eine weitere Besonderheit ist, dass der Zertifikatskurs angegliedert ist an ein Lehrforschungsprojekt mit wissenschaftlicher Fragestellung: Wie kann man Musikern die Kompetenz vermitteln, sich langfristig auf dem digitalisierten Musikmarkt zu etablieren? Auch eine erste Publikation hat die Forschungsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Schildhauer erarbeitet: Zielgruppenanalyse, Musikvermarktung im Internet, der Musiker als Marke und die Erkenntnis zu zielführenden Methoden in der Erwachsenenbildung mit digitalen Medien sind nur einige Schwerpunkte, die das Buch behandelt.

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Dozentin Patricia Stohmann (Universal Music) arbeitet gemeinsam mit den Musikern. // Foto: Susanne Baron

Von den Erfahrungen von DigiMediaL_musik profitiert auch ein weiteres Lehrforschungsprojekt des Berlin Career College an der UdK: „M³ MakeMeMatter – Alternatives Wirtschaften und Social Media für Darstellende Künste”. Es wird aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) durch die Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten kofinanziert. MakeMeMatter unterstützt und begleitet zum Beispiel Tänzer, Schauspieler oder Konzeptkünstler. Schwerpunkt ist auch hier die Profilbildung in den Sozialen Medien.

Erfolge stellten sich ein

Aber zurück zum Zertifikatskurs DigiMediaL_musik: Die Nachfrage von selbstvermarktenden Musikern aus Berlin ist durchweg gut. Zwanzig Personen ist die maximale Teilnehmerzahl, für jeden Durchgang bewerben sich mehr als doppelt so viele Musiker. Erfolgsgeschichten gibt es einige zu berichten:

Der Stummfilmpianist Stephan Graf von Bothmer tourt mit seinem Programm weltweit, Johanna Borchert hat den ECHO Jazz 2015 als beste deutsche Sängerin gewonnen, Benjamin Puntius kollaboriert bei seinen Filmmusikprojekten mit vielen Berliner Musikern, Tanja Hutterer und ihre Band FOURLUXE haben sich im gehobenen Eventbereich etabliert. Matthias Krebs ist zufrieden: „Wir erleben, dass Musiker durch die Impulse von DigiMediaL erfolgreicher sind, uns das auch rückmelden und den Kurs weiterempfehlen. Diese praxisorientierte, langfristige Betreuung möchten wir unbedingt weiter anbieten.“ Über seinem Kopf an der Bürowand hängt eine große Pappe mit Zetteln. Überschrift: Brainstorming Neuantrag. Die Förderperiode läuft Ende Oktober aus, bald muss der Förderantrag eingereicht werden.

Peter Schink hat die Musiker inzwischen in die Mittagspause entlassen. In der Cafeteria trifft man sich wieder, aber nicht zu lange: „Die Sachen aus dem Kurs muss ich gleich weiter ausprobieren!“

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